Tirthuatha

 

Die Begegnung



Nach dem Überfall waren wir sehr vorsichtig geworden. Unser Weg norlich wurde sehr einsam, da wir vermieden, andere Reisende zu treffen. Ein Zwischenfall ereignete sich jedoch auf der Weiterreise.
Wir hatten ein gut verstecktes Lager für die Nacht gefunden und ausnahmweise ein Feuer entfacht. Ein Rascheln ließ uns aufhorchen. Im nächsten Moment trat ein Mann in den Lichtschein unseres Feuers. 
"Seid gegrüßt, werte Reisende", sprach er mit  prüfendem Blick. "Ich suche eine Lagerstatt für diese Nacht. Darf ich mich eurem Lager anschließen ?" `Er hat keine Angst vor uns,` stellte ich mental fest. 
"Wer bist Du?", fragte Xhânthyr. 
"Ich bin Sie-Hun Yoon, ein Händler von Hou-Dao-You."
Wir blicken uns verständnislos an. Er schien nicht aus dieser Gegend zu sein, da er nicht wie die hiesige Bevölkerung aussah. Auch seine Kleidung sah erheblich anders aus, als das, was wir bisher bei der Bevölkerung gesehen hatten. Sie war aus sehr feinem Stoff gewoben und sehr gut verarbeitet. Vielleicht hatte er, weil auch er ein Fremder hier war, keine Angst vor uns. Sehr kriegerisch sah er nicht aus, da er offensichtlich keine Waffen bei sich trug.
`Komischer Kauz! Aber er scheint keine Gefahr für uns zu sein.` "Setzt Euch ruhig zu uns."-"Entschuldigt mich kurz; ich muß mich noch um meine Lasttiere  kümmern." Er erntfernte sich wieder. Wir lächelten uns an. Ein bißchen Abwechselung tat bestimmt gut. 
Als er zurückkam, hatte er ein Bündel unter dem Arm. "Ihr habt doch nichts dagegen, wenn ich etwas über Eurem Feuer zubereite?", fragte er. Kurz danach erwärmte er Wasser über dem Feuer und gab, als es kochte, ein paar Blätter hinein.
Nach einer kurzen Zeit des Wartens goß er ein wenig in ein Gefäß und trank es.
"Darf ich Euch ebenfalls etwas davon anbieten?"-"Was ist das?"-"Tee, eine Spezialität aus meiner Heimat. Es wärmt Euch bei dieser Kälte von innen, besser als dieses Feuer." Wir kosteten beide davon, da er bereits selbst davon getrunken hatte und wir keinerlei hinterlistige Gedanken bei ihm entdecken konnten. Es schmeckte herrlich und tat sehr gut. Der Abend wurde nun ein sehr vergnüglicher und wir erfuhren vieles über dieses Land, in dem wir uns befanden, da unser Besucher viel und gerne redete. Offenbar hielt er uns für Erainner, was uns sehr recht war. Am nächsten Morgen trennten sich unsere Wege. Wir zogen weiter nach Nor, er nach Süd. 
Schließlich säumten kleine Ansiedlungen den Weg. Doch niemand konnte uns Auskunft über diese Frau geben. In dieser Gegend war sie nicht gewesen. Man riet uns überall, nach Dhanndcaer zu gehen. "Sie wird wahrscheinlich eine Schiffpassage buchen wollen.", hörten wir allenthalben. `Was immer eine Schiffspassage sein mag, diese Stadt ist scheinbar eine große Handelsstadt. Laß sie uns dort suchen.` So wandten wir uns in die Richtung, in welcher Dhanndcaer liegen sollte.
Es war bereits später Nachmittag, als wir die Stadt betraten. Viele Menschen drängten durch die Stadttore. Wir gingen in die Richtung, in welche die meisten Menschen strömten. Es wurde bereits dunkel. `Ich habe Hunger, du nicht auch, Shanaryél?`-`Ja, etwas zu Essen und zu Trinken wäre nicht schlecht.`  
So betraten wir die nächste Taverne, die wir auf unserem Wege fanden. `Eine merkwürdige Straße haben die hier; warum ist nur eine Seite der Gasse bebaut?` fragte mich Xhânthyr. `Ich weiß nicht,` erwiderte ich.
Wir setzten uns an einen freien Tisch an der hinteren Wand und schlugen die Kapuzen unserer Umhänge zurück. Die Taverne war gut besucht. Viele der Besucher sahen recht merkwürdig aus. Ihre Gesichter hatten tiefe Furchten und die Sprache klang grob und ungehobelt. Ihr Benehmen entsprach ihren Äußerungen, und sie waren sehr in ihre lauten Gespräche vertieft. Niemand schenkte uns Aufmerksamkeit. Endlich hatte der Wirt uns entdeckt umd kam auf uns zu. "Was wollt Ihr trinken?"-"Was habt Ihr da, Wirt?"-"Das Übliche halt", erwiderte der Wirt. "Gut, bringt uns Met", orderte Xhântyr. Ich blickte ihn dankbar an. Ich hätte mich doch mehr mit den Dorfbewohnern abgeben sollen. 
Eine junge Frau brachte die bestellten Getränke. Ein Gast am anderen Ende der Gaststube stand auf und steuerte zielstrebig unseren Tisch an. Dem Aussehen nach schien es sich um einen Seemann zu handeln. Wettergegerbtes Gesicht, sonnengebräunte Haut und ein Gang, der entweder die Gewöhnung an schwankende Planken oder aber den Genuß von übermäßig berauschenden Getränken verriet; wahrscheinlich war es ein Gemisch von beidem. Nur die überraschend geringe Körpergröße des Mannes irritierten Xhânthyr und seine Gefährtin. Er sah eher aus wie ein Kind. Nun ja, vielleicht war es auch nur ein Schiffsjunge, der Landgang hatte. 
`Er kommt tatsächlich zu uns,` stellte ich fest, `was mag er von uns wollen?` Wir warteten. Schließlich beabsichtigten wir, nicht durch eine übereilte Handlung aufzufallen. Dieses Etwas setzte sich doch tatsächlich mit einem kurzem Kopfnicken an unseren Tisch. "Ihr gestattet?"-"Was gibt es da noch zu erlauben, Ihr sitzt ja bereits", bemerkte ich und bemühte mich, meiner Stimme etwas sehr Kühles zu geben. "Gut pariert", versetzte der Kleine. "Ihr führt eine scharfe Zunge. Erlaubt, daß ich mich Euch vorstelle? Ich bin Arkan. Einfach nur Arkan. Mehr braucht man nicht in dieser Umgebung. Und mit wem habe ich das Vergnügen, einige Becher zu leeren?"-"Ihr seid unverschämt, werter Arkan." sagte ich schmunzelnd. "Aber sagt mir doch, was Euch an unseren Tisch führt?" Der Kleine lächelte verschmitzt. "Erst einmal fühlte ich mich angezogen von Eurem wunderschönen, wenn auch befremdlichen Antlitz, Euren violetten Augen, welche gleich dem Norlicht zu glühen scheinen und dem Duft des Fremdartigen, des Abenteuers, der Euch umgibt."-"Ihr habt eine feine Nase und ein scharfes Auge, daß Ihr von Eurem Platz dort hinten all das gesehen und gerochen habt, werter Arkan", mischte sich Xhânthyr ein. "Ich glaube, werte Dame, ich sprach mit Eurer Gefährtin. Verzeiht meine kecke Rede, doch muß ich sagen, sie findet eher Wohlgefallen in meinen Augen, als Ihr es tut. Nicht daß ich Euch in irgendeiner Form herabwürdigen wollte, doch allein die Farbe ihrer Augen hat mein Herz gefangen. So verzeiht, wenn ich.... " Der Rest seiner Rede ging in unserem schallenden Gelächter unter. Die Tränen aus den Augenwinkeln wischend, sagte ich: "Entschuldigt, aber darf ich Euch meinen Gefährten...," erneut überfiel mich herzhaftes Lachen, "... meinen Freund Xhânthyr vorstellen." Erneut erschütterte uns ein Lachanfall und warf uns zurück an die Lehnen unserer Stühle. "Und ich habe die Ehre, Euch, werter Arkan, meine Gefährtin Shanaryél vorzustellen", japste Xhânthyr, immer noch bemüht, Luft zu holen. Arkan schaute zuerst verwirrt, dann aber stahl sich ein Grinsen um seine vollen Lippen. "Wenn ich je versucht werde, das andere, gleiche Geschlecht zu kosten, werter Freund, dann werde ich gewiß Euch erwählen, denn ihr seid fürwahr von sehr ansprechendem Äusseren."
Als Shanaryél das Gesicht ihres Freundes sah, mußte sie erneut lachen. Arkan hörte, wie eine seltsame, fließende, aber zischend klingende Sprache über ihre Lippen kam und ihr Begleiter daraufhin errötete.
"Es ist sehr unhöflich, sich einer Zunge zu bedienen, derer das Gegenüber nicht mächtig ist.", beschwerte sich Arkan. "Bitte sprecht so, daß ich Euch ebenfalls verstehen kann." Dann beugte er sich nach hinten und rief nach der Schankmaid. "He, Ceri, unsere Kehlen sind trocken. Verschaff Abhilfe, aber schnell."-"Verzeiht mir, aber Ihr habt uns so erheitert, daß wir vergaßen, wo wir uns befinden. Wir kommen aus Erainn. Dort sind wir es nicht gewöhnt, daß man Männer und Frauen nicht auseinander halten kann."-"Wenn ihr aus Erainn kommt, so bin ich ein Mythane!" gab Arkan zurück. Verständnislos sahen wir unseren Besucher an. Dieser grinst nur: "Vergeßt einfach was ich sagte."
Er plazierte seine derben Stiefel auf der rohen Tischplatte. "Nein, es gibt etwas, das mich auf euch aufmerksam 
machte. Und das ist dies." Mit diesen Worten strich er seine langen Haare zurück und ein spitzes Ohr stach vorwitzig aus dem schmutzigblonden Gewust hervor. "Ihr seht, ich bin fast wie Ihr. Doch ich nehme an, daß Ihr die Bezeichnung Elf als ebenso falsch empfindet wie ich. Denn von ihrem Geschlecht seid Ihr gewiß nicht. Dies hätte ich gespürt. Denn meine Base ist eine Elfe. Und Eure Gedanken, so ich sie fühlen und erahnen kann, sind nicht elfischer Natur." Er hielt einen Moment inne. "Bei Moch, wer seid Ihr, was habt Ihr hier zu schaffen?"
Zwei violette Augenpaare blickten Arkan durchdringend an. In die eisige Stille, die schlagartig entstanden war, trat jemand an unseren Tisch. `Spürst Du auch zwei,..., zwei Wesenheiten uns gegenüber?`-`Ja,` kam es überrascht zurück.`Doch sehe ich nur eine Person vor uns sitzen. Kann es sein, daß er einen ...?` 
"Hier sind Eure Getränke", ließ sich die volltönende Stimme des Wirtes vernehmen. "Bier und das Wasser des Lebens, so wie Ihr es bestellt habt."-"Stellt es nur hin", sagte Arkan, "und dann laßt uns allein." Der Wirt schaute etwas befremdet, tat jedoch wie ihm geheißen. Als er sich wieder entfernt hatte, sah der Kleine auf die Krüge und seufzte: "Erneut dasselbe. Das Bier ist gut, jedoch der uisge beatha ist mir viel zu jung."
Er schloß die Augen, und einige gutturale Laute kamen über seine Lippen. Nur entfernt konnten die Kandakaí es als thuatisch erkennen. Ein bläuliches Schimmern umgab den Krug, und Risse zeigten sich in ihm, so als wäre das Gefäß weitaus älter, als es den Anschein geben mochte. Zufrieden lächelnd hob er das Glas ans Licht und tat einen tiefen Zug.
`Hast Du das mitbekommen? Das ist ja unfaßbar,` fragte ich Xhânthyr ungläubig. `Doch, er hat es älter gemacht. Er hat Macht über die Zeit,` erwiderte Xhânthyr genauso bestürzt. `Wir sollten ihn mitnehmen und Syrrid vorstellen, findest Du nicht auch?`-`Gute Idee, abgemacht! Aber Vorsicht, er könnte noch mehr Kenntnisse dieser Art von Magie haben.´
Wieder auf Arkans Frage ob unserer Herkunft eingehend, entgegnete ich: "Nun, Ihr seid äußerst unhöflich. Wir kommen von sehr weit her und kennen die Sitten und Gebräuche dieses Landes kaum, deshalb verzeihen wir Euch diese harte Redensart. Wir kommen aus Erainn und suchen eine Frau, die sich hier aufhalten soll. Vielleicht kennt Ihr sie ja, sie trägt einen blauen Umhang mit einem Silberfuchskragen."-"Nein", antwortete er wieder etwas besonnener mit dem Anflug eines Grinsens, "ich kenne viele Frauen, aber kann mich nicht an alle erinnern. Warum sucht Ihr sie?" fragte er interessiert. "Wir müssen sie dringend sprechen!" entgegnete Xhântyr ausweichend. "Ihr habt einen so weiten und gefährlichen Weg auf Euch genommen, nur um jemanden zu sprechen? Ihr seid wahrlich seltsame Zeitgenossen!" merkte Arkan mit hochgezogenen Augenbrauen an.
"Da Ihr Euch hier gewiß besser auskennt als wir und wir ein Quartier für die Nacht benötigen, habt Ihr sicherlich die Güte uns zu sagen, ob man hier gut nächtigen kann und ob das Essen genießbar ist?" fragte ich Arkan. Lachend gab er Antwort: "Ich würde die Lokalität wechseln. Das Essen ist fürchterlich und hier bekommt Ihr die Nacht keine Ruhe! Ich kenne ein besseres Quartier für Euch. Ich werde  Euch dorthin führen."
`Gut, komm ruhig mit!` ich jubelte innerlich. Freundlich nickten wir ihm zu. Er lächelte bierselig zurück.
Wir bezahlten die Getränke und verließen die Gaststube. Unser Führer schlug einen Weg in die Mitte der Stadt ein. An vielen Herbergen und Wirtshäusern führte er uns vorbei. Seine Gedanken blieben uns jedoch verborgen, so sehr wir uns auch bemühten; zu viel Neues, Unbekanntes lenkte uns hier ab. Nach längerem Marsch betrat er einen beachtlichen Platz. Am anderen Ende erhob sich ein großes, prächtiges Gebäude. Es glich fast einem Palast, denn die Wachen vor dem Portal taten das Übrige, um dieses Haus wichtig erscheinen zu lassen.
Unbekümmert schritt Arkan mit seinen Begleitern auf die Soldaten zu. Mit einer geradezu unbegreiflichen Dreistigkeit baute er sich vor ihnen auf und grinste sie frech an. Die Männer, welche ihn um mindestens zwei Köpfe überragten, sahen im ersten Moment geringschätzig und spöttisch auf Arkan hinab. Dann jedoch, so als würde ein unsichtbarer Geist ihnen die klammen Finger in die Seite bohren, nahmen sie zackig Haltung an und salutierten. "Exzellenz,...verzeiht..., wir haben... wir erkannten Euch nicht sofort", stammelten sie. Der Kleine winkte beschwichtigend ab. Die Kandakaí sahen sich bedeutsam an, denn sie verspürten das verhallende Echo eines soeben gewirketen Zaubers. "Laßt es gut sein, Männer. Eure Wachsamkeit ehrt Euch. Aber laßt mich und meine Gefährten nun passieren."-"Herr, wen soll ich melden?"-`Exzellenz?!? Herr?!?` sendete Shanaryél überrascht,`wer, im Namen der Erhabenen, ist er?` - `Arkan. Du weißt doch, "...einfach nur Arkan. Mehr braucht man in dieser Umgebung nicht..." waren seine Worte,` kam die prompte Antwort von Xhântyr. 
Sie grinste.
`Jedenfalls jemand, der es wert ist, daß wir uns weiter mit ihm befassen.` -"Meldet Righ Arkan E´dhelcù, nebst zwei äußerst wichtigen Begleitern. Im Vertrauen," wisperte er geheimnisvoll, "sie sind Botschafter eines fernen 
Volkes, welches ich die Ehre hatte, auf meinen Reisen zur See kennenlernen zu dürfen. Aber vielleicht", lachte er lauthals, "sind sie auch einfach nur Saufkumpanen, die ich in irgendeiner Taverne aufgelesen habe."
Mit einem gequälten Blick auf Arkan wandte sich eine der Wachen ab, um Meldung zu machen. `Was weiß er über uns, oder will er uns und die Wachen nur zum Narren halten?`-`In jedem Falle sollten wir vorsichtiger sein, als wir es bisher schon waren.` Arkan nickte den Kandakaí auffordernd zu und bedeutete ihnen, ihm zu folgen. Die großen Torflügel vor ihnen öffneten sich knarrend und gaben den Blick auf einen großen von blakenden Feuerschalen erleuchteten Hof frei. Weit ausladende Stiegen führten sie zu einem weiteren, kleinerem Portal, welches verschwenderisch mit kostbaren Schnitzereien verziert war.

***

Xhânthyr ließ sich in die weichen Kissen des breiten Bettes fallen. Sie hatten ihnen einen luxuriösen Raum zugewiesen. Die Kandakaí fanden ihn angemessen. Genauer gesagt handelte es sich um zwei Zimmer, das Schlafzimmer und einem Wohnraum, der ebenfalls sehr reich, ja geradezu prunkvoll möbliert war.
Da bemerkte Xhânthyr ein breites Band, welches am Kopfende des Bettes neben seinem Kissen herabhing. Neugierig geworden nahm er es in die Hand und zog es dabei an sich, um es näher zu betrachten. Nur Augenblicke später öffnete sich lautlos die Tür zum Schlafgemach und eine zierliche, weibliche Gestalt betrat den Raum. Mit gesengtem Kopf und leiser Stimme fragte sie nach dem Begehr des Herren. Mit einer einzigen fließenden blitzschnellen Bewegung sprang er aus dem Bett, nahm dabei sein Schwert auf und richtete drohend die Klinge auf die Kleine. Erschreckt entfuhr dem Mädchen ein Schrei.

***

Shanaryél befand sich im Wohnraum und betrachtete das Interieur des Zimmers. Wertvolle Gobelins hingen an den Wänden, zeigten Jagdszenen und Ereignisse aus dem täglichen Leben des Hofes. In einem großen Kamin prasselte ein wärmendes Feuer. Sie kniete sich vor den brennenden Scheiten nieder, die Flammen spiegelten sich in ihren violetten Augen und ihr Blick verlor sich in ihnen, rastlos, ruhelos und verzehrend nach Orten, die sie zu vergessen suchte. Da riß sie der Hilferuf eines Kindes aus den Gedanken. Und der Schrei war aus dem Schlafzimmer gekommen. `Was geschieht Dir, Xhân?` aus ihren Gedanken gerissen wirbelte Shanaryél herum und stürzte ins Schlafgemach. Mit einem Blick erfaßte sie die Situation. "Was willst Du hier?", herrschte sie die Kleine an und blickte dem Kind durchdringend in die Augen. "Er hat mich gerufen", stotterte diese unsicher. `Das habe ich nicht. Sie lügt!`-"Wie?"-"Ihr Holden, er," und sie deutete auf Xhânthyr, "rief mich, indem er läutete."-"Ich habe aber nichts läuten gehört!" sagte sie sehr langsam. Die Augen der Kandakaí funkelten bedrohlich, während sie die Reaktion des Kindes beobachtete. Entweder handelte es sich hier um ein Mißverständnis oder aber um einen sehr geschickten Angriff. Doch wer würde schon ein Kind vorschicken, es sei denn, dies wäre kein normales Kind, sondern ein geschicktes Manöver Arkans. Durch den scheinbar ruhigen Klang ihrer Stimme beruhigt, entgegnete das junge Ding: "Verzeiht, doch als er an jenem golddurchwirkten Band zog, erklang die Glocke in dem Raum, in dem ich auf die Befehle und Wünsche der hohen Herrschaften warten soll. Die Glocke ist das Zeichen für mich, eure Magd, daß Euch nach etwas verlangt. Also bin ich herbeigeeilt, um Eure Befehle zu hören und auszuführen." Nach dieser langen Erklärung senkte sie den Blick demutsvoll zu Boden. Die Unterlippe des Mädchens zitterte leicht. Diese großgewachsenen Fremden mit den dunklen strengen Augen flößten ihr Angst ein und ließen sie erschaudern. `Sie ist harmlos,` stellte Xhânthyr fest, `was machen wir jetzt?`-`Wir??? Du hast sie gerufen, sie erfüllt Deine Wünsche!`-"Gut, bring mir einen Krug Met und ashun´ny!" verlangte er. "Wie bitte?" Auf Ihren unsicheren Blick hin lachte er herzlich und legte die Waffe zur Seite. "Bring´ nur den Met". Erleichtert verschwand sie durch die Tür, durch die sie gekommen war. 

***

Später erschien sie unaufgefordert und teilte den Kandakaí mit, daß das Abendmahl aufgetragen werde, und auf Nachfrage erklärte sie ihnen auch den Weg zum Speisesaal. Der Weg dorthin führte an einer Galerie vorbei, in der viele Gemälde hingen. Bei einem Bild blieben beide Kandakaí schlagartig stehen. Auf dem Bild war eine Frau mit langen braunen Haaren zu sehen, die einen blauen Umhang mit einem Silberfuchskragen trug. `Tavina! Es hängt ein Bild von ihr hier? Von welcher Geburt ist sie?`-`Fragen wir.` Ein vorbeikommender Bediensteter wurde angesprochen: "Wer ist diese Person auf dem Bild?"-"Die ehrenwerte Tavina, die Cyfara von Cladhainn", antwortete dieser unverzüglich mit einem knappen Blick auf das Bild. Mit einem kurzen Kopfnicken entließen sie den Diener. `Was, bei den Göttern, ist eine Cyfara?`-`Keine Ahnung.`

To be continued...

*** 

Sie betraten den Saal. Die Anwesenden, die sich angeregt unterhalten hatten, schauten die Kandakaí kurz an und verstummten. Es schienen nun alle anwesend zu sein; es waren noch zwei Stühle direkt neben Arkan frei. Xhântyr und Shanaryél wurden aufgefordert dort Platz zu nehmen, nachdem Arkan sie als seine Reisegefährten vorgestellt hatte. Die beiden sahen sich um. Die Gäste hatten sich wieder ihren Gesprächspartnern zugewandt. Nur ein Gast blickte die beiden stumm an. Er war leichenblaß. Sie erkannten ihr Gegenüber sofort. Sie war es: Tavina.
Der erste Gang wurde serviert.
"Mundet es Euch?" wandte sich Arkan schließlich an die Kandakaí. Aus ihrer Konzentration auf Tavina gerissen, antwortete Shanaryél: "Äh, ja, ja." Tavinas Gedanken waren, wie bei der letzten Zusammenkunft, leicht zu lesen. Sie schien aufgeregt zu sein, denn ihr ging vieles durch den Kopf. Arkan grinste schelmisch. Sein Blick folgte dem der Kandakaí und blieb auf Tavina ruhen. Verwirrt blickte er wieder seine Nachbarin an.
"Verzeiht, wie nennt ihr die Speise hier?" fragte Xhânthyr unverfänglich, um Arkan abzulenken. `Danke!`-"Eichhörnchenzungen in Rotwein", antwortete er ernsthaft. "Dem Koch gebührt ein wirklich großes Lob. Denn es ist gewiß schwierig aus diesen kleinen Dingern eine schmackhafte Pastete zu zaubern."-"Der Blutzoll des Koches war bestimmt recht hoch, denn Eichhörnchen sind bekannt für ihre schnellen Bisse", bemerkte Xhânthyr trocken, während er einen Löffel, von dem ein wenig Rotweinsauce tropfte, zum Mund führte. Als Arkan den befremdlichen Blick des ranabarischen Diplomaten zu seiner Linken bemerkte, platzte ein Lachen aus ihm heraus. Sehr zum Leidwesen Tavinas, hatte er sich doch gerade einen kräftigen Schluck Bieres genehmigt. Sie warf ihm einen eisigen Blick zu, meinte zu Gwyddor: "Ihr entschuldigt..." und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. Shanaryél blickte ihr enttäucht nach. In die Runde sehend versuchte sie, die Neuigkeiten, welche ich in Tavinas Geist erfahren hatte, bestätigt zu finden.
Die Gäste waren in ihre Gespräche vertieft. Sie blickte die Person an, bei der Tavina sich entschuldigt hatte, bevor sie sich zurückzog. Der Mann war zweifelsohne der Gastgeber. Er saß am Kopf des Tisches und sah sehr wichtig aus. War sie wegen ihm hier? Ich konzentrierte mich auf ihn. Seine Gedanken kreisten um Staatsangelegenheiten, um Fremde und auch... da war sie wieder... diese ‘Mobilmachung’. Arkan störte sie wieder in ihrem Unterfangen, weiter in Gwyddors Gedanken einzudringen. "...beunruhigt Euch? Ihr seid so still." Erst jetzt bemerkte ich seine Hand auf meinem Knie. Ich schob sie entschieden zurück. "Verzeiht, ich war in meinen Gedanken versunken.", entgegnete ich und funkelte ihn drohend an. "Ihr wolltet mir etwas mitteilen?" fügte ich dann in unverfänglichem Plauderton hinzu.
Der Gastgeber mischte sich glücklicherweise in das Gespräch ein: "Ihr seid Weggefährten von Arkan wie er mir eröffnete. Aber sagt, was führt Euch in diese Hallen?"-"Er führte uns hierher, da er hier ein Nachtlager fände, wie er uns mitteilte. So wie wir empfangen wurden, hatte er Recht," antwortete Shanaryél höflich. Er nickte langsam. Ihre Antwort schien ihm nicht zu gefallen. Der letzte Gang wurde bereits aufgetragen, als Tavina zurückkam. Sie wurde langsam unruhig. Die Mobilmachung war gegen die Kandakaí gerichtet!. Sie mußte umgehend mit Syrrid Kontakt aufnehmen. Diese Tavina hatte bereits zuviel Unheil angerichtet. Wieviel hatte sie ihm über die Kandakaí erzählt und wieviel wußte sie tatsächlich? "Wie lange begleitet schon Ihr Arkan und warum seid Ihr unterwegs?" drang er in ihre Gedanken. "Oh, schon länger, denn wir suchen jemanden und er hilft  uns dabei." Das Mahl war endlich zu Ende.
"Entschuldigt mich bitte, ich fühle mich nicht wohl." Sie war vielleicht unhöflich, aber es war notwendig. `Begleite mich. Ich muß Syrrid sprechen.`-"Ich gehe besser mit ihr. Ihre Gesundheit ist etwas angegriffen und es kam schon vor, daß sie ohnmächtig wurde in diesem Zustand", erklärte Xhântyr im Aufstehen. Wir verließen den Saal.
Im Zimmer angekommen, setzte Shanaryél sich sofort auf einen Stuhl, nahm das Amulett, schloß die Augen und fing an zu senden. Syrrid sollte über die Geschehnisse der letzten Tage und die merkwürdigen Fähigkeiten dieses Arkan erfahren. Xhântyr verschloß währenddessen die Tür und wachte.

***

Als ich die Augen wieder öffnete und meinen Kopf hob, blickte ich in das grinsende Gesicht Arkans. 
Xhânthyr war in seiner Bewegung scheinbar erstarrt. "Was hast du mit ihm gemacht?", herrschte ich ihn an. "Ich?" fragte er unschuldig, mit einem breiten Lächeln. "Ich wollte nur einen Moment mit Euch alleine sein. Also habe ich Euren Beschützer überreden müssen, sich für einen kurzen Moment zurückzuziehen. Leider erwies er sich als wenig kooperativ...."
"Was hast du getan?", presste ich drohend hervor, während ich mir das Amulett um den Hals hängte und im Aufstehen zur Waffe griff. "Ihr werdet Euren Dolch nicht brauchen, werte Freundin. Wenn ich Euch etwas hätte antun wollen, so wäre mir während Eurer Meditation gewiß Zeit genug geblieben."-"Was...wie seid Ihr an ihm vorbeigekommen?"-"Auf den Schwingen der Liebe... Sie haben sein Auge geblendet und mich ungesehen an ihm vorbeigetragen." - "Ihr lügt, werter Arkan", entgegnete ich scharf. "Wenn ich könnte, würde ich nun erröten, doch kommen mir derart kleine Schwindeleien mittlerweile so leicht von den Lippen, daß ich Euch in dieser Hinsicht leider enttäuschen muß. Doch habt Ihr Recht. Es bedurfte weitaus mehr als nur ein paar Flügel, um ihn zu umgehen..."
Ich ging zu Xhântyr. Er atmete nicht und sein Herz stand still. Ich blickte Arkan mißtrauisch an. "Ist Euch vielleicht nach etwas Wein? Dieser hier ist ein besonders guter Jahrgang. Ich glaube die Leute hier nennen ihn `Das Herzblut`. Egal wie er auch heißen mag, auf jeden Fall schmeckt er ganz ausgezeichnet. Wollt Ihr?" - "Ihr weicht meiner Frage aus!" Mit zwei Bechern in den Händen näherte er sich mir. "Sagen wir, ich habe einen Zauber über ihn geworfen. Sorgt Euch nicht. Er weiß gar nicht, was ihm geschieht. Seht Ihr, er schläft einen magischen Schlaf." Er reichte mir den Becher. Ich nahm ihn an. Doch trank ich nicht. Konnte ich ahnen, ob mein Trunk nicht etwa vergiftet war? "Er schläft nicht. Löst den Bann!", forderte ich. Arkan sah überrascht auf. "Lösen? Oh, das vermag ich nicht!" Drohend schritt ich auf den Kleinen zu. Lachend wich er zurück. "Nicht ich vermag es, sondern nur Ihr", verkündete er kichernd. Mich auf sein Denken konzentrierend, erwiderte ich leise:"Was soll ich Eurer Meinung nach tun?" Arkan nahm einen Schluck aus seinem Becher, und schmatzte genießerisch. Er betrachtete den roten Wein, als beinhalte er alle Fragen und Antworten Magiras. "Zwar ist dieser Trunk von einer wunderbaren, tiefen Farbe, doch...", über den Rand seines Bechers traf mich der Blick seiner tiefblauen Augen, "..vermag er sich nicht mit der Röte Eurer verführerischen Lippen zu messen. Und genau diese sind es, die den Zauber brechen können. Wenn es Euch allerdings unangenehm ist, daß ich Zeuge werde, so werde ich mich gerne für einen Moment abwenden. Doch möchte ich Euer Wort, daß ich mich sicher fühlen kann, wenn ich Euch den Rücken zuwende. "Lachend steckte ich den Dolch in die Scheide zurück. Er war gegen ihn eh’ sinnlos, wenn ich mir Xhân so anschaute. "Ihr seid ein Schmeichler, werter Arkan. Doch ich möchte auch Euer Wort, daß wir sicher sind, denn ich kann Euch nicht in meinem Blick behalten, wenn ich Euren Wunsch erfülle." Sie lächelte Arkan schelmisch an. 
"Irgendwie bereue ich es, daß der Bann nicht gelöst wird, wenn ich der Glückliche wäre, der Eure Lippen kosten dürfte. Aber nun gut, ich wende mein Antlitz." Er drehte sich glucksend zur Wand. Ich nahm das kalte Gesicht Xhântyrs in die Hände, dann aber faßte ich die schmalen Schultern Arkans, zwang ihn mit einem schnellen Griff herum und küßte ihn leidenschaftlich auf den Mund. Erst völlig überrumpelt, wedelte er hilflos mit den Armen, doch dann begann er den Kuß mit Inbrunst zu erwidern. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich eine fächelnde Bewegung seiner Rechten und ich wußte, daß das kleine Schlitzohr den Zauber aufgehoben hatte. Aber gut. Ich würde sein Spielchen mitmachen und so blieben wir weiter dort, engumschlungen wie Liebende, die sich schon lange versprochen waren. Eines jedoch war anders. Gewiß, ich war schon des öfteren geküßt worden. Doch noch niemals zuvor war ich meinem männlichen Partner an Körpergröße überlegen gewesen. So hatte ich ihn im Arm. Eigentlich eine neue Erfahrung. Ich mußte gestehen, irgendwie genoß ich es...

Ein vernehmliches Hüsteln riß die beiden wieder zurück in die Wirklichkeit. "Was um alles in der Welt tut ihr da...?" fragte ein verwirrter und leicht erröteter Xhânthyr. Arkans Mund verzog sich zu einem unverschämten Lächeln als er mit aller Unschuldsmine antwortete. "Wir zaubern, ist das nicht offensichtlich?"-"Eure Taten strafen Eure Worte Lügen", erwiderte ich möglichst kühl. 
 

(c) Cordula Behr